Kapitel 17 | Jugendliche: wenig Freiheitsentzug
Heime werden als Armenerziehungsanstalten oder als Rettungsanstalten für verwahrloste, gefährdete oder straffällige Jugendliche im Laufe des ganzen 19. Jahrhunderts gegründet, wobei in den Jahren 1850 bis 1870 ein Höhepunkt an Gründungen erreicht wird. Viele werden von Fabrikbesitzern, v.a. der Textilmanufaktur, eröffnet. In den Betrieben werden Jugendliche als Arbeitskräfte ausgebeutet. Gleichzeitig gibt es auch schon pädagogisch ausgerichtete Gründungen wie die Armenerziehungsanstalt von Ph. E. von Fellenberg in Münchenbuchsee oder die Rettungsanstalt von Ch. H. Zeller bei Basel. Sie wurden zu national und international viel beachteten Modelleinrichtungen.
Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein werden Erziehungseinrichtungen, welche zivilrechtlich platzierte, administrativ versorgte und straffällige Jugendliche aufnehmen, nach Gehorsamkeits- und Disziplinierungsprinzipien geführt. Sie nehmen meist eine grosse Zahl von Jugendlichen auf (bis 150) und sind auf harte landwirtschaftliche Arbeit eher denn auf Erziehung und Schulbildung ausgerichtet.
Erst die aktive Kritik an den Institutionen (Stichwort: Heimkampagne) und die sich durchsetzende Forderung nach einer Erziehung zur Selbständigkeit nach 1968 führen zur tiefgreifenden Reform der Heimerziehung, welche darauf zunehmend sozialpädagogisch und schulisch ausgerichtet wird. In der Deutschschweiz entstehen neue Erziehungseinrichtungen mit Familiencharakter und sozialpädagogische Wohngemeinschaften. Auch die Heime modernisieren sich, bieten Berufsbildungsangebote an und realisieren therapeutische Angebote, unter anderem im Bereich drogenabhängiger Jugendlicher. Ein weiterer Trend zeichnet sich in neuester Zeit ab, als im Zeichen zunehmender Psychologisierung und Psychiatrisierung von deviantem und problemhaftem Verhalten Jugendlicher forensische Jugendabteilungen (z.B. Basel) eröffnet werden.
Das Jugendstrafrecht baut auf dem Präventions- und Erziehungsgedanken auf und stellt die erziehende Intervention des Jugendstrafrechts in den Vordergrund.
Die vorsorglichen Schutzmassnahmen zielen darauf ab, einen Jugendlichen aus seinem angestammten, meist zerrütteten sozialen Umfeld herauszunehmen und seinen Gesundheitszustand und die adäquate Intervention abzuklären.
Die Sanktionen umfassen die Strafen (persönliche Leistung, Busse, Freiheitsentzug) und die Schutzmassnahmen (persönliche Betreuung, ambulante Behandlung, stationäre Behandlung). Während erstere bei der grossen Mehrheit der sozial integrierten Jugendlichen zur Anwendung kommen, werden die zweiten vor allem bei Jugendlichen aus dissozialem Umfeld, wo sich schulische und weitere soziale Nachteile kumulieren, ausgesprochen.
In den Strafrechtssystemen vor 1900 werden für straffällige Jugendliche Strafmilderungen vorgesehen. Die im 19. Jahrhundert sich ausbildenden Vorstellungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Kindheit führen im 20. Jahrhundert dazu, dass ein eigenes Jugendstrafrecht gefordert wird. In der Schweiz finden die Anhänger der Jugendgerichtsbewegung insofern Gehör, als die Bestimmungen, welche Kinder und Jugendliche betreffen, im Vorentwurf von 1916 in einem eigenen Kapitel zusammengefasst werden. Es ist als Täterstrafrecht konzipiert, trägt dem Reifegrad der Jugendlichen Rechnung und ist auf Erziehung ausgerichtet. Bei dessen Inkraftsetzung im Jahre 1942 setzt es noch stark auf die Heimerziehung, obwohl diese im Ausland bereits starker Kritik ausgesetzt ist. Während das Strafrecht zu diesem Zeitpunkt konzeptionell modernisiert worden ist, bleibt der Jugendvollzug allerdings noch völlig bestimmt von Gehorsam und Arbeit, statt von Selbständigkeit und Erziehung. (für die weitere Entwicklung siehe unter 2)
Typisch für die Schweiz ist, dass es sehr wenige Einrichtungen gibt, die ausschliesslich jugendliche Straftäter aufnehmen. Vor allem im Vollzug von Erziehungsmassnahmen wachsen diese im Allgemeinen zusammen mit zivilrechtlich Platzierten auf und erhalten dieselbe Erziehung. Damit wird nicht nur erfolgreich eine Ballung von jugendlichen Straftätern verhindert, sondern die sozialberufliche Integration im Lebenszusammenhang des Jugendlichen besonders unterstützt.
Die Datenlage zur Entwicklung der Ein-]richtungen und der Platz-]zahlen bleibt 2010 problematisch. Wohl wurden immer wieder Versuche unternommen, die Anzahl der Heime statistisch zu erfassen. Allerdings fehlt es immer wieder an verlässlichen und umsetzbaren Kriterien. Verlangt ist eine sorgfältige Interpretation der Daten.
Auf lange Sicht lässt sich mit den bisher vorliegenden Daten der verschiedenen Heiminventare ein ständiger Anstieg der Anzahl Einrichtungen wie auch der verfügbaren Plätze beobachten, wobei zwischen 1965 und 2010 eine Vervierfachung der Anzahl Einrichtungen festgestellt werden kann. Im Gegensatz dazu nimmt die Zahl der Plätze nur um 58% zu. Dies bedeutet, dass die durchschnittliche Zahl der Plätze pro Einrichtung zwischen 1965 und 2010 stark gesunken ist. Müssen für die Inventare zwischen 1974 und 1965 steigende Zahlen festgehalten werden (1874: 34, 1913: 44, 1942: 49, 1965: 48), so fallen diese auf 19 im Jahr 2010 ab und belegen damit den strukturellen Wandel von den auf Disziplin aufbauenden Grossheimen zu den sozialpädagogisch konzipierten Wohneinheiten.
((Antwort folgt))
Die Datenlage zur Entwicklung der Einrichtungen und der Platzzahlen bleibt bis 2010 problematisch. Wohl wurden immer wieder Versuche unternommen, die Anzahl der Heime statistisch zu erfassen. Allerdings fehlt es immer wieder an verlässlichen und umsetzbaren Kriterien. Verlangt ist eine sorgfältige Interpretation der Daten.
Auf lange Sicht lässt sich mit den bisher vorliegenden Daten der verschiedenen Heiminventare ein ständiger Anstieg der Anzahl Einrichtungen wie auch der verfügbaren Plätze beobachten, wobei zwischen 1965 und 2010 eine Vervierfachung der Anzahl Einrichtungen festgestellt werden kann. Im Gegensatz dazu nimmt die Zahl der Plätze nur um 58% zu. Dies bedeutet, dass die durchschnittliche Zahl der Plätze pro Einrichtung zwischen 1965 und 2010 stark gesunken ist. Müssen für die Inventare zwischen 1974 und 1965 steigende Zahlen festgehalten werden (1874: 34, 1913: 44, 1942: 49, 1965: 48), so fallen diese auf 19 im Jahre 2010 ab und belegen damit den strukturellen Wandel von den auf Disziplin aufbauenden Grossheimen zu den sozialpädagogisch konzipierten Wohneinheiten.
((Antwort folgt))
Die Rückfallrate ist eine der einfachsten, meist genutzten und interpretationsbedüftigen Kennzahlen zur Evaluation der Sanktionenwirkung.
Die meisten verurteilten Jugendlichen werden nach einer Sanktionierung nicht rückfällig, nämlich 66%. Die allgemeine Rückfallrate Jugendlicher liegt bei 34%. Untersucht man die Rückfallraten nach der Sanktion, so haben die am schwersten sanktionierten Jugendlichen im Allgemeinen auch die höchsten Rückfallraten. In den meisten Ländern, in denen Rückfallanalysen zu längeren freiheitsentziehenden Sanktionen durchgeführt wurden, zeigt sich, dass letztere die höchsten Rückfallraten verzeichnen. In der Schweiz liegen sie bei 75% - in vielen Ländern sind sie sogar höher. Dies ist nicht verwunderlich, da Erziehungs- und Behandlungseinrichtungen vor allem Jugendliche mit den schwersten Straftaten, den längsten Karrieren und den schwierigsten Lebensbedingungen aufnehmen. Obwohl mit der Rückfallkennzahl also noch nichts über die Aufgabenerfüllung und Leistung der Einrichtungen ausgesagt werden kann, kann trotzdem belegt werden, dass alle anderen Sanktionsarten, insbesondere die ambulanten Schutzmassnahmen, tiefere Rückfallraten verzeichnen.